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11.05.2020

Mensch, Maschine oder Marionette?

Die Bildwelt zum Thema «ROBOT GEOLOGIST» haben wir in den akribischen und komplexen Arbeiten des Künstlers Carlos Estévez gefunden. Er schafft einzigartige Wege, um die Menschheit – ihre wissenschaftlichen Gesetze, das Zusammenspiel zwischen Mensch und Metaphysik, Anatomie und Maschine, Sprache und Astrologie – durch Zeichnungen, Objekte und Installationen visuell umzusetzen.

 

Interview: Eva C. Kiefer und Ines Senger

Ihre Charaktere leben in einer unerwarteten und eigenartigen Welt. Wie ist diese Welt mit Ihrer persönlichen Realität verbunden?

Carlos Estévez: Die zentrale Thematik meiner Arbeiten ist der Mensch und seine Existenz. Die Kunst ist für mich eine Art das Leben zu verstehen – eine Denkweise und ein Weg mich selbst zu verstehen. Meine Arbeiten sind das Resultat aus dem Zusammenspiel zwischen dem normalen Leben, meinen Gedanken und Gefühlen.

Wie arbeiten Sie?

Ich arbeite von 9.00 bis 12.00. Nach dem Essen mache ich eine kleine Siesta und arbeite dann bis 17.00 oder 18.00 Uhr. Die Wochenenden halte ich mir, wann immer möglich, bewusst frei.

Mein Arbeitsprozess gleicht dem eines Alchemisten, der versucht Gold herzustellen – sie haben es zwar nie geschafft – und doch sind aus ihren Versuchen wahre Wunderwerke entstanden. Der Entstehungsprozess ist kompliziert und faszinierend. Ich arbeite immer, während ich träume, fahre oder dieses Gespräch führe. Ich bin immer auf der Suche nach der Idee, dem Bild, das keiner kennt. Man weiss nie, wie und wann ein solcher Gedankenblitz kommt. Ich gehe einfach jeden Tag auf mein Schlachtfeld und kämpfe mit meinen Dämonen, um meine Kunst zu erschaffen. Beharrlichkeit und Disziplin – das ist mein Geheimnis.

Beim Betrachten Ihrer Automaten – halb Mensch, halb Maschine – kommt mir Brian Selznick’s Zitat in den Sinn: «Ist dir aufgefallen, dass alle Maschinen für einen bestimmten Zweck gebaut wurden? Die einen, um die Zeit anzuzeigen wie Uhren, andere, um dich in Erstaunen zu versetzen wie ein Automat.» … «Vielleicht ist es dasselbe mit den Menschen, wenn sie kein Ziel mehr haben, verlieren sie den Sinn des Lebens.»

Welchen Zweck verfolgen Sie mit Ihren Maschinenkreaturen, z.B. mit Ihrem Werk «Habitantes Habitables» (Bewohnbare Bewohner)? Glauben Sie, dass die Erde auch ein «bewohnbarer Bewohner» des Universums ist?

Ich konzentriere mich auf das Metaphysische, das jenseits der täglichen Realität liegt. Mich interessiert es, das wahre «Ich» der menschlichen Natur zu erforschen. Ich glaube, dass das ganze Universum aus lauter Texten besteht, die eine Fülle von Informationen beinhalten. Unsere Rolle ist es, diese Texte zu decodieren und unsere eigene Perspektive zu entwickeln. Vor einigen Jahren realisierte ich eine Arbeit «The World in Which We Live» (Die Welt, in der wir leben), wo ich Analogien zog zwischen der natürlichen Welt und Maschinen. Die Zeichnungen zeigen die morphologischen, funktionellen und symbolischen Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Maschine auf. Diese Serie hat die Idee aufgegriffen, dass der Mensch Dinge erschafft, die aus der direkten Beobachtung der Natur stammen. Mir gefällt die Idee, ein Objekt zu schaffen, das versucht, alles menschliche Wissen aufzunehmen.

Bei den Alchemisten ist das Haus, in dem wir leben, eine Erweiterung unserer Seele. Um dieses Konzept zu illustrieren, zeichneten sie architektonische Strukturen neben schematische Körper, wobei jedes Körperteil einen spezifischen Ort im Haus darstellt. Diese Anschauung liess mich Städte, die ich besuchte, von einer ganz neuen Perspektive kennenlernen. In «Habitantes Habitables» wollte ich eine Mutation darstellen, bei der die Charaktere zu Gebäuden werden. Ich habe organische Formen mit architektonischen Strukturen kombiniert, bis sie zu einer Einheit wurden.

Wer oder was beeinflusste Ihre Arbeit am meisten?

Ich liebe die Werke von Cimabue, Giotto, El Bosco, Leonardo da Vinci und Joseph Cornell. Meine Arbeiten haben starken Einfluss von den Filmen von Fellini, Bergman und Tarkowski und von der Literatur Dostojewskis und Borges. Zusätzlich habe ich Einflüsse aus der existentialistischen und klassischen Philosophie – Plato, Aristoteles, Plotin. Die antiken Philosophen studierten über Leben und Tod, Menschheit, Universum und den Sinn des Lebens – also alles Dinge, die mich faszinieren und die ich in meine Werke einfliessen lasse.

Sind Ihre Charaktere Menschen, Maschinen oder Marionetten? Und wer ist der Marionettenspieler?

Ich liebe Spielzeug. Sie sind eine grossartige Erfindung des Menschen, weil sie das Leben im kleinen Massstab darstellen. Ich kann sie ohne Konsequenzen manipulieren, testen und daraus lernen. Marionetten sind das Bindeglied zwischen diesen zwei Welten. Sie symbolisieren den Menschen als Metapher. Unser Leben ist wie ein Theaterbühne, auf der sich unsere Existenz wie ein Drama abspielt. Wir können nicht entscheiden, wann es anfängt und wann es endet. Es wird bestimmt durch externe Faktoren. Das einzige was uns Menschen bleibt, um unseren eigenen kleinen Raum des persönlichen Schicksals zu schaffen, ist zu träumen und zu wünschen.

In Ihren Werken erzeugen Automaten Gravität, magnetisieren Planeten und Gesteine. Sie können auch bewohnt sein oder Mitgefühl zeigen. Geologen sehen die Erde als Organismus. Siehen Sie Parallelen zwischen Ihren Werken und der Arbeit eines Wissenschaftlers?

Ich denke, alles im Leben ist miteinander verbunden. Auch wenn sich die Menschen spezialisieren, überschreiten sie doch ständig Grenzen und interagieren untereinander. Ich finde sehr viele Inspiration in anderen Bereichen. Ich schaue oft Fachbücher an um Ideen aus den Wissenschaften zu gewinnen. Mit etwas Distanz findet man eine neue Perspektive auf die Realität. Ich bin ein Beobachter. Ich genieße es, die Welt um mich herum zu betrachten.

Sehen Sie die Zukunft der Erde, der Roboter und der Geologie als einen Weg, die Geschichte des Universums zu verstehen, wie sie von seinen Felsen erzählt wird?

Die Zukunft der Erde ist unsicher. Im Universum sind wahrscheinlich schon viele Zivilisationen ausgestorben. Seit Beginn der Menschheit hat die Technologie eine wichtige Rolle in deren Entwicklung gespielt und wird es sicherlich weiterhin tun. Das Gestein wird immer eine «Black Box» bleiben, die all unsere Geheimnisse aufbewahrt.

 Ciudad prohibida © Carlos Estévez

Kurzbiographie

Carlos Estévez ist ein in Kuba geborener visueller Künstler, der seit 2004 in Miami lebt und arbeitet. Zahlreiche Stipendien in Amerika und Europa, Ausstellungen und Preise* machen ihn zu einem bekannten Mitglied der internationalen Kunstszene. 

*Grand Prize in the First Salon of Contemporary Cuban Art in 1995  
*The Joan Mitchell Foundation Painters & Sculptors Grant in 2015

Mehr Informationen zu seinem Leben und Werk: carlosestevez.net